Kontroversenblogger – wider den Konsenszwang

Moabiter Baustelle im Dornröschenschlaf?

| 9 Kommentare

Weg zum Vereinsgelände des TSV 1861 Gutsmuths e.V.

Da alle Kinder sowie alle Erwachsenen meiner Familie mindestens einen wöchentlichen Sporttermin „ auf der Wulle“ haben, gehört der Weg von der Gotzkowskibrücke längs der Spree zum Vereinsgelände zu unseren ständigen Kiezwegen. Hier nun fällt uns und anderen Bürgern auf, dass Höhe Tile-Wardenbergstraße eine Baustelle die normale Wegnutzung unterbricht.

Baustelle frontal

Dauerhindernis zahlreicher Nichtmotorisierter

Das irritierende an dieser ist, dass dort seit Monaten, ach seit Mo-na-ten nur eines passiert: Nix. Mit Ausnahme von erstaunlich vitaler Spontanvegetation, die dem floral bewanderten Beobachter vermutlich geeignet Zeugnis vom Alter der Baustelle ablegt.

Spontanvegetation

Moabiter Baubiotop

Bürgersprechstunde, Frage und Antwort

Da ich nichts von obrigkeitsstaatlichen Öffnungszeiten – die oft mit meinen anderen terminlichen Verpflichtungen kollidieren – und den Tücken der Zuständigkeit halte, habe ich durch Versand einer E-Mail am 06.06.2011 an die vermutet zuständige Stelle meine eigene Bürgersprechstunde anberaumt.

Objektbereich Wasser

vermutlich verantwortliche Stelle

Gern gebe ich meinen Text hier anonymisiert zu Protokoll:

Sehr geehrte(r) X,

am Wikingerufer Höhe Tile-Wardenberg-Straße befindet sich eine Baustelle mit einer Kennzeichnungstafel Objektbereich Wasser XOW 12, den ich zuständigkeitshalber meiner Erstrecherche nach in Ihrer Zuständigkeit sehe.

Ich bin Bürger von Moabit, der den dortigen Weg mehrfach in der Woche nutzt und sich bei der Passage des Hindernisses Baustelle seit Monaten fragt, ob und wann das Mißverhältnis von recht umfangreich wirkender Absperrung und nicht stattfindender Bautätigkeit endlich ein Ende findet. Ich bitte Sie, mich darüber und über Gründe des Stillstandes zu informieren bzw. meine Anfrage bei Nichtzuständigkeit an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Ich danke vorab für Ihre Bemühungen.

Ich werde das Thema ggf. auch ohne Ihre Antwort als Blogger aufgreifen und biete meinen Lesern und Mitbürgern aber gern erwünschte Fakten und Lösungen neben meinen Meinungsäußerungen.

Mit freundlichen Grüßen

Zu meiner Freude erhielt ich nicht nur schneller als erwartet, sondern auch wie ich finde eine in Teilen bemerkenswerte Antwort, die ich Ihnen natürlich nicht vorenthalten möchte:

Sehr geehrter Herr Pankrath,

mit Ihrer unten stehenden E-Mail erbaten Sie Informationen zu der
Uferwand am Wikingerufer und der damit verbundenen Sperrung des
Uferwanderweges.

Die Uferwand am Wikingerufer wies im Bereich der Kreuzung
Tile-Wardenberg-Straße starke Deformationen auf, die sich auf die
Standsicherheit der Uferwand und damit auf die Sicherheit der
Nutzer des Uferwanderweges auswirkten.

Zur Beseitigung der akuten Gefahr und zur Erkundung der
Deformationsgründe wurde der sich dort befindliche Weidenstubben
ausgebaut und die Baugrube bis zu Höhenlage des oberen Ankers
ausgehoben. Hierbei wurde festgestellt, dass der freigelegte
Anker aus der Uferwandbefestigung ausgebrochen war. Der
Ankeranschluss wurde provisorisch wieder hergestellt, um ein
weiteres Ausbeulen der Uferwand zu vermeiden. Die Baugrube musste
jedoch zur Entlastung der Uferwand offen bleiben und konnte nicht
wieder verfüllt werden.
Daraus resultiert die bis heute sichtbare und sicherlich störende
Absperrung des Uferwanderweges mit der Umleitung über den
Straßenrandstreifen.

Unmittelbar im Anschluss an die Sofortsicherung erfolgte die
Auswahl und Beauftragung eines Ingenieurbüros für die Erarbeitung
einer Sicherungsmaßnahme für den geschädigten Uferwandabschnitt.
Die Maßnahme bedarf der Zustimmung der Wasserbehörde und des
Wasser- und Schifffahrtsamtes sowie der anschließenden
öffentlichen Ausschreibung. Diese notwendige Vorgehensweise nimmt
leider Zeit in Anspruch.

Ich gehe jedoch davon aus, dass ich die Sicherungsmaßnahmen noch
in diesem Jahr beauftragen und ausführen kann und der
Uferwanderweg Ende diesen Jahres wieder geöffnet wird.

Ich hoffe, dass Ich Ihnen einen zufriedenstellenden Überblick
verschaffen konnte und hoffe auf Ihr Verständnis, dass ich den
Uferwanderweg nicht freigeben kann, bis die Sicherungsmaßnahmen
durchgeführt wurden und die Nutzer des Weges sich wieder sicher
entlang der Spree bewegen können.

Sollten Sie noch Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur
Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Interessen

Ich habe ohne Mühe eine Reihe von Beteiligten und Interessenten aufzählen können, die rund um die von mir entdeckte [Nicht-]Baustelle gruppiert sind. Ich vermute, dass meine kleine Liste noch erweiterbar wäre.

  1. Bürger
    Anwohner und Passanten wollen möglichst bald wieder eine freie, sichere Passage haben. Darüber hinaus wünschen sie sich die derzeit fehlenden Parkplätze zurück. Auch die Bank mit Sicht auf die Spree mag gern wieder genutzt werden.

    Parkplatzabbau

    27 Schritte weniger Parkraum

  2. Bezirksamt Mitte und Kiez Moabit
    Eine hohe einschränkungsarme Aufenthaltsqualität ist ein Faktor für Zufriedenheit von Anwohnern und Besuchern, die aus inzwischen erfreulich vielen Ländern hierher kommen.
  3. Verwaltung des Landes Berlin
    Neben der Verpflichtung auf das Wohl seiner Einwohner hat die Verwaltung ein Interesse daran, revisionssicher ordnungsmäßig zu arbeiten. Leider scheint das zuweilen mit dem Interesse einer schnellen Lösung nicht eben deckungsgleich zu sein.
  4. Wasserbehörde
    Mangels besserer Informationen unterstelle ich hier zuständigkeitshalber notwendiges Stempeln eines Stückes Papier auf der Verwaltungsebene Bundesland. Ungeprüft aber interessant zum Thema Wasser in Berin.
  5. Wasser- und Schifffahrtsamtes
    Mangels besserer Informationen unterstelle ich hier zuständigkeitshalber notwendiges Stempeln eines Stückes Papier auf der Verwaltungsebene Bund.
  6. Baustellenabsicherer
    Der Anbieter nimmt vorsichtig ausgedrückt sicher billigend in Kauf, dass eine Baustelle auch mal länger abgesperrt ist, als es dem Bürger und Steuerzahler einsichtig ist. Je länger das dauert, desto mehr Umsatz dürfte abrechenbar sein.
    (Rohwedder, BSG)

    Rohwedder

    "Zaunkönig" Rohwedder

    BSG

    BSG is ooch dabee

  7. Planungsbüro
    Ein zügig und ordentlich durchgeführtes Projekt ist neben ordentlicher Schlußrechnung nützlich, um zeitnah bezahlt zu werden. Wenn der Auftraggeber zufrieden ist, erhöhen sich in der Tendenz die Chancen, bei weiteren Ausschreibungen eingeladen zu werden oder den Zuschlag zu erhalten.
  8. Baufirma / Baufirmen
    Mitarbeiter und Maschinenpark sollen nach Möglichkeit gut ausgelastet werden. Ich könnte jeden potentiellen Anbieter verstehen, der inzwischen mit den Füßen scharrt, weil eine zeitlich in den späten Herbst hinein ragende Baustelle mit verzögernden Wetterkapriolen rechnen muss.

weiterführende Fragen

Als Kontroversenblogger sehe ich es u.a. als meine Aufgabe an, recherchierbare und vorstellbare Interessen klar zu benennen. Daraus ergeben sich teilweise Fragen, die in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs gehören können. Gelegentlich mögen auch Juristen mit einer juristische Untersuchung oder Klärung am Ende einer Frage und ihren Antworten stehen. Mediatoren könnten auch gefragt sein.

Die Reihenfolge der Fragen ist nicht unbedingt eine nach Wichtigkeit. Die etwas starr wirkende Nummerierung erfolgt, um sich einfacher auf einzelne Punkte beziehen zu können.

  1. Subsidiarität
    Kann und soll es in unserem Land so sein, dass Melde- und Entscheidungsweg kafkaesk lang wirken? Wäre die Erfindung „kleiner Vorkommnisse“ eine Lösung, um nicht mehr mehrere zuständige Stellen informieren und auf deren erratisch zügiges OK zu warten? Ins Unreine gedacht: Alles was nur wiederherstellt (Reparaturen) und voraussichtlich in der Summe unter X liegt, kann die lokalstmögliche federführende Stelle vor Ort einfach beauftragen und andere übergeordnete Stellen nur noch in Kenntnis setzen.
  2. Transparenz
    Wäre es nicht der Zeit („Informationsgesellschaft“) geschuldet, dass geplante Aktivitäten, zuständige Stelle und andere für den Normalbürger wichtige Informationen in irgendeiner Form vor Ort ausgehängt werden? Wäre es eine Lösung, wenn Teile der eh vorhandenen Akten im Internet abrufbar wären und vor Ort der Link auf diese Informationen als minimales Bauschild aushinge? Ich vermute mal als [noch] Nichtkenner von Verwaltungsabläufen, dass jede Baustelle eine eindeutige Bezeichnung hat, die eine Verwaltung im Web vereinfachen sollte.
  3. Kosten
    Welche Informationen über eine solche Baustelle sind öffentlich zugänglich? Ich finde es insbesondere interessant, wie viel Steuergeld im irgendwie unproduktiv herumstehenden Zaun versickern und welcher Anteil das vom Gesamtbudget letztlich ist.

Mitmachen

Natürlich freue ich mich über aufhellende Beiträge aller im Beitrag explizit genannten und implizit zuständige Stellen. Aber auch die Expertise und die Meinungen aller anderen Interessierten sind mir herzlich willkommen. Ich bin gern derjenige mit dem sprachlichen Scheinwerfer und Lautsprecher. Das aber nicht nur aus Spaß am darstellen sondern mit dem Wunsch, einen Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zu leisten, wie ich es auch schon als Quartiersrat getan habe.

Eigenwerbung

Wenn Sie nach der Lektüre dieses Blogbeitrages das Gefühl haben, dass ich Ihnen mit meinem kritischen Blick für Details und mit meiner Art des Schreibens helfen kann, nehmen Sie gern auf Ihrem bevorzugten Kanal Kontakt mit mir auf.

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9 Kommentare

  1. Hallo Knut,

    als erstes einmal ein großes Lob für den Blog ! Kontroversenblogger klingt gut und wird mich in Zukunft häufiger sehen.
    Deine ironische, manchmal sarkastische Art Dinge beim Namen zu nennen gefällt mir auch sehr gut.
    Und supergut sind deine aufgeworfenen Fragen und die Vorschläge dazu: „lokalstmögliche federführende Stelle“, „jede Baustelle eine eindeutige Bezeichnung“ (ich vermute jeder Verwaltungsvorgang hat eine eigene, eindeutige Kennzeichnung – wir sind in Dtld) Das genau ist Politik und sollte an viel mehr Orten diskutiert werden.
    LG
    peer

    • @Peer
      Danke für das Lob. Das ist ein Ansporn, weiter Dinge anzupacken und zu schauen, wie ich meinen Beitrag leisten kann. „Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es ist nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ singen im Gedächtniszitat die Ärzte…

  2. durch Andreas Szaguns Darstellung des Problems „nicht mehr standsichere Ufermauer“, gerade bei MoabitOnline veröffentlicht
    http://www.moabitonline.de/11622
    dürfte klar geworden sein, dass es sich nicht um eine kleines, sondern um ein riesengroßes Problem handelt.
    Deine Forderung zu mehr Transparenz bleibt natürlich in jedem Fall richtig, das Schild hätte ja schon gleich aufgestellt werden können, als die Dimension des Problems nur erst vermutet wurde.

  3. Pingback: Knut Pankrath » Blog Archiv » Uferbaustelle Wikingerufer – uferlos?

  4. Pingback: Schnittstelle Staat Bürger |

  5. Pingback: Moabit ist und bleibt zunächst kaputt |

  6. Pingback: Dschungel Moabit |

  7. „Ich gehe jedoch davon aus, dass ich die Sicherungsmaßnahmen noch in diesem Jahr beauftragen und ausführen kann und der Uferwanderweg Ende diesen Jahres wieder geöffnet wird.“
    4 Jahre später ist immer noch der komplette Uferweg abgesperrt. Dafür erfreuen wir uns inzwischen an Betonhaufen in einer Grünanlage. man muss halt Prioritäten setzen…

  8. Pingback: Knut Pankrath » Blog Archiv » Wahlkampfthema Wikingerufer

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